Plattengrau

Ich bin berauscht + süchtig + verliebt: Ich bin seit zwei Wochen auf Google+

 

28.06.2011 – Ein Tag wie gestern oder heute. Heiß, viel Arbeit, schnell ein „Sushi Set Groß“ bestellt, um es dann im Büro vor dem Bildschirm noch schneller zu verschlingen. Bis ein Kollege etwas über ein neues soziales Netzwerk von Google erzählt hat. Google+ heißt es und soll was ganz tolles neues sein, das alles bisherige in den Schatten stellen wird. Jaja von Facebook bringt mich so schnell nichts weg, dort kenn ich mich aus. Hat ja lange genug gedauert da mal den Durchblick zu bekommen, bei den verschachtelten Sicherheits- und Sichtbarkeitseinstellungen. Fragt man sich doch oft, wer da was eigentlich sehen kann. Wer was sehen kann wissen dann aber die wenigsten, und trotzdem teilen wir fast alles mit fast jedem wie wild ohne darüber nachzudenken dass am Ende auch die Menschen viel vom eigenen Leben mitbekommen, die wir eigentlich geblockt und den Kontakt mit ihnen abgebrochen haben. Auf Facebook hab ich meine Seiten und die der Kunden, die ich betreue, Werbung, die ich schalte, Gruppen, die wie nie enden wollende Workshops stetig mit neuen Ideen und Skizzen befüllt werden wollen. Geschweige denn meine ganzen Freunde, Bekannten, Arbeitskollegen und Familie. Diese peinlich genau in tagelanger Arbeit, feinsäuberlich in Freundeslisten kategorisiert, nach Kriterien geordnet, wie beispielsweise: woher man sich kennt, wie gut man sich kennt, ob man sich überhaupt persönlich kennt, was man alles herzeigen will und was nicht, ja schon fast katalogisiert und durch offline/online Stati versehen immer erreichbar oder nicht, sind.

Na egal. Ich schau mir das mal an und hatte mich auch sofort für ein early Access angemeldet. Das erwarten der erlösenden Mail ist immer grausam bis erbärmlich. Bei der Social Inbox von Facebook oder beta Tests von Hootsuite & Co. hatte ich mich ja schon öfter als glücklich und ausdauernd erwiesen. Aber diesmal war es anders. Ich wollte da unbedingt rein, so schnell es geht, am besten jetzt. Sofort. Um mir selbst ein Bild davon zu machen ob die fantastischen Erzählungen meines Kollegen und die unzähligen verschlungenen Artikel über DAS neue soziale Netzwerk, die aber alle samt eigentlich nur die spärlichen Informationen der Anmeldeseite als Grundlage hatten, auch nur annähernd an das herankommen, was ich mir in meiner Euphorie im Kopf zusammengereimt hatte, stimmen.

Es vergingen endlos lange Tage und Stunden bis ich drin war, zumindest kam es mir so vor. Zwei Tage nach meiner Anmeldung war zwar noch immer keine Einladung in meinem Gmail-Postfach. Aber als ich, wie fast täglich mein „Sushi Set Groß“ nachmittags, davor bleibt ja wenig Zeit zu essen, zu den frischesten News aus und über Facebook bzw. der restlichen Onlinewelt verschlang, stolzierte eine Kollegin in das Büro und verkündete Großes. Sie hat eine Einladung zu DEM neuen sozialen Netzwerk erhalten über das die Onlinewelt seit tagen berichtet und auf das alle geil waren. Mein erster Hands-On-Test sollte in der Mittagspause des 30.06.2011 wahr werden.
Sie war so nett, mich dank dem zu der Zeit noch funktionierenden Einladungs-Tricks: Schreib ein Posting und füge die Gmailadresse des nicht warten könnenden Kollegen in das „Mit wem möchtest du das teilen“-Feld hinzu, obwohl ich sie bei meinem Schrei: „Ich will eine Einladung, schick mir sofort eine!“ fast mit dem Sushi, das ich halb zerkaut im Mund hatte angespuckt hätte. Ich hab damit alles getroffen, nur sie zum Glück nicht. Die restlichen 6 Sushi-Stücke, aus der edlen Einweg-Plastik-Box waren schneller verdrückt als sie mir die Einladung schicken konnte. Doch ihre Einladung sollte nicht gleich ankommen. „Ich hab’s jetzt schon zwei Mal versucht und mich immer an die angaben gehalten, wie die Einladung zu verschicken ist, obwohl Einladungen ja eigentlich nicht aktiviert sind“ sagte sie hektisch zwischen Text Editor Fenster mit, mir unverständlichen, Programmiercode Zeilen und dem Browser in dem sie ihr Werk kontrollierte. Dass sie jetzt eigentlich keine Zeit hätte mir die erlösende Einladung zu schicken war mir in meiner Aufregung schlicht weg wurst. Aber den restlichen Kollegen im Büro ist es aufgefallen, die alle schon drin waren. Nur ich stand noch außen vor. Doch das versuchten sie ob meines nervösen auf und ab-Gehampels schnell zu ändern. Mich einzuladen erwies sich aber schwerer als gedacht. Mehrere Kollegen hatten es bereits versucht, doch mein Gmail Postfach blieb leer. Geschafft hat es dann schlussendlich der Kollege, der mir als erster von dem neuen Wunder-Netzwerk erzählt hatte. „Post is do!“ – ein Hängenbleibsel eines Freundes mit dem ich in der Vergangenheit viel Zeit verbracht hatte, der diesen Satz als Audio SMS-Ton in urwienerischem Dialekt auf seinem Smartphone eingestellt hatte, schallte durch meinen Kopf während ich das Einladungs-Mail binnen Millisekunden in meinem Postfach ausmachte, öffnete und den wunderschön rot gefärbten „Weitere Informationen zu Google+“-Button betätigte.
Es war geschafft, ich war drin. Sofort ein Posting verfassen um den Zeitstempel: 30.06.2011-16:30 Uhr, für die Ewigkeit in meinem Profil, stolz wie ein militärisches Abzeichen, festzuhalten. Nach einem recht schlampigen Rundumblick über die ungewohnte aber sehr ansprechende Oberfläche und dem flott von der Hand gehenden einkreisen der Arbeitskollegen war es dann Zeit für die Zigarette danach. Im Hof angekommen war die am Vorabend bereits vorsorglich heruntergeladene Google+ App schon voll in Betrieb und die so sehr ersehnten aber nicht angekommenen Einladungen meiner lieben Kollegen durch das rot leuchtende Benachrichtigungs-Icon bereits abgehandelt und vergessen. Die neuen Funktionen mussten ja schnellst möglich inspiziert und getestet werden. Mal schnell mit der neuen Instant Upload-Funktion ein Fotoposting verfasst: „Schirch wird’s“ mit einem Foto der Gewitterwolke die sich gerade über mir breit machte. Danach noch schnell als erster in der Firma mit dem Shout: „Major?“ einchecken. Juhu das erste Kommentar zum Check-In bekommen: „Hupf in gatsch!“ von meinem Chef. Gleich zwei Mal von Kollegen geliked. Ähm ich meine natürlich geplusst. Egal, sein Check-In in der Firma war zwar in derselben Minute, erschien aber im Nachrichtenstrom erst nach meinem, nur das zählt.
Zurück am Rechner war dann nach dem Einladungsrundumschlag in der Firma nichts mehr mit arbeiten. Alle saßen vor ihren Bildschirmen und luden wie wild alle möglichen Bekannten und Freunde in das neue Netzwerk ein und erkundeten die tollen Funktionen in akribischer Feinarbeit, um nur ja nichts zu übersehen. Die neuen Funktionen wollen ja in den kommenden Tagen und Wochen bei Begegnungen am Gang oder dem Plauscherl in der Küche heiß diskutiert werden. Mich zog es gleich wieder in den Rausch des Icon und Sprite sichten, runterladen und analysieren. Ob die wohl schon auf Funktionen hinweisen die erst später freigeschalten werden oder ich gar essentielle Funktionen übersehen hatte beschäftigte mich bis ich keine neuen Icons oder Grafiken mehr fand. Auf den Sprites waren aber tolle Informationen versteckt, die natürlich gleich stolz hergezeigt werden mussten. Mein Kollege war aber nicht recht begeistert von meinem Fund und so wurde die Euphorie schnell wieder in den normalen Arbeitsalltag umgelenkt. Zwei Tage später waren alle Funktionen getestet und das große Potential des Wunder-Netzwerks ausgemacht und besiegelt. Da kam dann der Nutzerstamm ins Visier meines Beobachtungsdrangs. Alles Early-Adopter und Nerds hier auf Google+. Ich fühlte mich in der Sekunde der Erkenntnis darüber gleich wohl und geborgen.

Das heilige Land war gefunden!

Was einem da für Leute vorgeschlagen wurden, unglaublich. Die Gründer vieler angesehener Nachrichtenwebseiten, Plattformen, ja sogar der Gründer des bis dato größten Konkurrenz-Netzwerkes tauchte in den Vorschlägen auf. Hier war die Elite der Onlinwelt versammelt. Alle wurden Sie prompt eingekreist, die interessantesten zuerst in den „Oage-Leid“-Kreis, versteht sich. Alle die mir interessant erschienen wurden nach feinsäuberlicher Inspektion ihrer Profile in ein noch ausgeklügelteres System als mein letztes, in diverse Kreise gepackt. Ich konnte gar nicht aufhören immer mehr dieser tollen und interessanten Menschen in meine Kreise zu packen und deren Nachrichten über meinen Bildschirm purzeln zu sehen. Ich habe alles verschlungen was sie zu berichten hatten und mir binnen Minuten eine fast nicht zu bewältigende Armee an Browsertabs zusammengetragen. Mit Links die ich später lesen wollte, wenn der Nachrichtenstrom mal ein wenig langsamer würde. Wurde er aber nie. Das störte mich keineswegs, da ich dank gutem Zeitmanagement und Selbstdisziplin recht geübt darin bin, die wirklich relevanten Informationen herauszufiltern. Ich habe aufgrund meines fehlenden Privatlebens abends auch noch genügend Zeit, die wertvollen Informationen und Neuigkeiten von den unwerten zu trennen und dank meines tollen Smartphones verpasste ich selbst dann nichts, wenn der Rechner auch mal seinen Schlaf brauchte.

In den ersten paar Tagen auf Google+ hatte ich dann so viele relevante Informationen gesammelt, gelesen und ausgewertet wie ich sie im ganzen letzten Jahr nicht in die Finger bekam. Diese freudige Erkenntnis lies mich in der ersten Woche nur noch mehr interessante Leute einkreisen und auf noch mehr und tollere Informationen, Links, Videos usw hoffen.

Einkreisen->Lesen-> Einkreisen->Lesen-> Einkreisen->Lesen-> Einkreisen->Lesen->so ging es die ganze Woche…

Ich bin am Ende der zweiten Woche angelangt. In meinen Kreisen tummeln sich dicht aneinander gedrängt an die 4.600 Leute von denen mich circa 460, es werden stündlich mehr, woohoo, ebenfalls eingekreist haben. Der Schnitt, dass mich nur 10% auch eingekreist haben wundert mich nicht. Da ich dank der vielen Information die ich bekomme selbst eigentlich keine Zeit mehr habe meine Präsenz und Daseinsberechtigung in diesem tollen neuen sozialen Netzwerk durch für andere Leute relevante Postings und soziale Kontakte zu unterstreichen oder zu festigen. Ich habe auch aufgehört die Eingekreisten händisch zu verlesen und bin zum Massenadden übergelaufen. Das war wahrscheinlich nicht mein bester Schachzug. Denn wenn ich jetzt meinen Nachrichtenstrom betrachte sehe ich mich von einem nicht enden wollenden Strom an Informationen, Reshares und animierten Spass-Gifs gefesselt, der im Sekundentakt wieder neue Informationen auf meinen Bildschirm projiziert, bei der die hälfte es wert ist sie zumindest zu lesen und ein viertel es verdient hat darüber zu schreiben. Und ein viertel der Information bei 4.600 zum Großteil interessanter Menschen denen man folgt ist schon eine enorme Flut an gutem Content der da kein Ende nehmend den lieben langen Tag an seinem Auge vorbeizieht.

Wie ich überhaupt die Zeit gefunden habe diese Gedanken aufzuschreiben könnte man sich jetzt fragen. Dazu müsste ich mich ja dem Nachrichtenstrom ferngeblieben sein?
Nö.
Ich habe gelernt damit umzugehen und einen eigenen Kreis angelegt in dem nur ich sitze. In diesen Kreis hab ich mir selbst immer Notizen und Gedankenfetzen geschickt die nach und nach zu dieser Geschichte wurden. Übrigens verwende ich auch zwei Bildschirme mit dem sich das Nachrichtenstrom lesen und nebenbei Notizen an mich selbst schreiben recht leicht bewältigen lässt.

Ich hoffe ich konnte euch mit meiner kleinen Geschichte über die ersten beiden Wochen auf Google+ unterhalten und freue mich natürlich sehr wenn ihr mich in euren Kreis des Vertrauens aufnehmt.

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